Geschichte Neptunus

Warum war und ist Flensburg eigentlich die deutsche Rum-Hauptstadt? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick in die Geschichte der Hafenstadt in Deutschland werfen. Und dabei führt kein Weg an der "Neptunus" vorbei, die untrennbar mit der Handelsstadt Flensburg und mit dem Rum aus Deutschland verbunden ist.

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Erster Kontakt zur Karibik

Die "Neptunus" ist deshalb ein so besonderes, historisches Schiff, weil sie als allererstes Segelschiff in die Karibik aufbrach, um den Handel mit den dänischen Kolonien in den Gang zu bringen. Die Jungfernfahrt nach Westindien fand Mitte des 18. Jahrhunderts – genauer gesagt, im Jahre 1755 – statt und ist bis heute in den Geschichtsbüchern fest verankert. Sogar im Flensburger Rum-Museum – dem einzigen ganz dem Rum verschriebenen Museum in der Bundesrepublik – wird dieses Ereignis aufgegriffen und auf anschauliche Weise nahegebracht. Seit Beginn der 90er-Jahre ist in jenem Untergeschoss des Schifffahrtmuseums in Flensburg das Rum-Museum untergebracht, das vor Kurzem renoviert, erweitert und neu eröffnet wurde. Informationen und Ausstellungsstücke rund um den Handel mit den westindischen bzw. dänischen Kolonien und um die Flensburger Rum-Geschichte thematisieren selbstverständlich auch das Segelschiff "Neptunus".

Warum ist eigentlich die Rede von Dänemark und nicht von Deutschland? Das hat seinen guten Grund: Flensburg im Norden des Landes gehörte damals zum dänischen Terroir, ebenso wie die Insel St. Croix in der Karibik. Jene wurde von der "Neptunus" angesteuert, um den Handel mit der Neuen Welt anzukurbeln. Dieser wiederum umfasste den Import von Rum in verschiedener Form und ebnete den Weg für den importierten, unverdünnten Original Rum sowie für den Rumverschnitt der berühmten Flensburger Rumhäuser.

Die "Neptunus" und die Flensburger Rum-Geschichte

Als das Segelschiff von seiner ersten Reise in die Karibik zurückkehrte, brachte es u. a. braunen Rohrzucker aus Zuckerrohr, aus demselben Rohstoff hergestellten Rum und Tabak – der zu Zigarren verarbeitet und / oder in Pfeifen geraucht wurde – mit. Damit legte das Schiff den Grundstein für den Überseehandel, der rund 100 Jahre lang andauern sollte und eine Verbindung zwischen dem Rum und Deutschland schaffte, die bis heute anhält. Auch Dänemark hält nach wie vor am Rum fest. Aus heutiger Sicht erscheint dies ein wenig unglaubwürdig, doch damals war Zucker etwas Besonderes und Kostbares. Bevor man sich dessen bewusst wurde, dass in europäischen Breitengraden die Zuckerrübe angebaut und zu Zucker verarbeitet werden kann, verließ man sich auf Rohrzucker, der als "weißes Gold" gehandelt wurde und einen hohen Preis sein Eigen nannte. Dementsprechend wichtig war der Handel, den die "Neptunus" in die Wege geleitet hatte.

Sie folgte auf den Spuren des weltbekannten Entdeckers Christoph Kolumbus, der auf Geheiß des spanischen Königshauses gen Westen aufbrach. Im Jahre 1492 entdeckte er Amerika bzw. die Neue Welt mit all ihren Inseln und dem Festland / den Kontinenten, die heute als USA, Mittelamerika und Südamerika bekannt sind. Er dachte jedoch irrtümlicherweise, er sei nach Asien aufgebrochen und habe Westindien entdeckt, sodass die Karibik unter diesem Namen bekannt wurde. Inseln wie Kuba, Jamaika, Barbados, St. Thomas und St. Croix entwickelten sich in den folgenden Jahrzehnten zu Handelszentren. Das Klima war vorteilhaft für den Anbau von Zuckerrohr, und mithilfe von afrikanischen Sklaven und der Arbeitskraft der Einheimischen stellte man eine rege Zuckerproduktion auf die Beine. Der Handel mit der Alten Welt begann, und dem Zucker folgte der Rum nach, der von den Plantagenarbeiten entwickelt worden war.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich der ungeschliffene Zuckerrohrbrand zu einem feineren Destillat aus Melasse weiter. Die Rum-Veredelung – die sich größtenteils auf die Lagerung und Reifung in Holzfässern stützte und untrennbar mit dem Handel mittels Segelschiffen verbunden war – verlieh der Spirituose ein riesiges Potenzial und zog die Aufmerksam der Europäer auf sich. Die Einfuhr von Luxusgütern und Rum verwandelte die Stadt Flensburg mit ihrem großen Hafen zu einer Hochburg des Handels. Die sich zu jenem Zeitpunkt noch unter dänischer Hoheit befindliche Hafenstadt schickte nach der "Neptunus" immer mehr Segelschiffe zu den Westindischen Inseln, und trotz der rauen Bedingungen auf Hoher See, trotz Piraten und Schmugglern, florierte der Handel mit Rum. Bedauerlicherweise entstand in diesem Zuge eine Art Dreieckshandel, denn der Sklavenhandel mit Afrika ermöglichte die Bewirtschaftung der Zuckerrohrplantagen. Erst segelten die meisten Flensburger Schiffe zum afrikanischen Kontinent, wo sie Männer, Frauen und Kinder zur Versklavung aufnahmen. Dann transportierten sie diese zu den karibischen Kolonien und wurden mit den Exportgütern beladen, bevor sie ihre lange Rückreise antraten.

Zwar hat das Segelschiff "Neptunus" unseren Respekt verdient, weil es den Rumhandel in Gang setzte, doch leider meinte es das Schicksal nicht so gut mit dem Schiff. Die zweite Reise misslang, denn die "Neptunus" strandete am 31. August 1757 bei der Rückkehr von Westindien an der jütischen Küste. Die wertvolle Ladung des Schiffes ging verloren, und das bedeutete auf lange Sicht das Aus des Schiffes – aber noch lange nicht das Ende des lukrativen Handels der Dänen und Deutschen. Zur Blütezeit des Rums Anfang des 19. Jahrhunderts wurden pro Jahr beinahe eine Million Liter Rum importiert.

Der Flensburger Rum-Verschnitt

Jener Blütezeit im 18. Jahrhundert schloss sich eine erneute Krise an. Die Industrialisierung und die damit verbundenen Veränderungen in der Wirtschaft sowie im Handel sorgten dafür, dass sich die Zuckerraffinerien in Flensburg nicht mehr gegen die Konkurrenten aus den benachbarten Großstädten Hamburg und Kopenhagen behaupten konnten. Aus diesem Grund entstand der Flensburger Rum-Verschnitt, der nach wie vor am Leben ist und ebenfalls etwas Historisches darstellt. Das Ausweichgeschäft im Westindienhandel umfasste die Herstellung von Rum Verschnitt – und das lediglich in Flensburg, sonst nirgendwo anders. Für den Flensburger Rum-Verschnitt wurde der starke, hochprozentige Original Rum eingeführt, welcher im Herstellungsland destilliert und im rohen Zustand nach Deutschland transportiert wurde. Ein geringer Anteil hiervon (bis zu 5 %) stellte die Basis von Rum Verschnitt dar. Der Rest entfiel anteilig auf speziellen "German Flavoured Rum", Wasser und auf Neutralalkohol / Agraralkohol aus Getreide, Kartoffeln oder Zuckerrüben. Die Methode des Verschnitts entstand aus der Not: Im 18. Jahrhundert wurden exorbitante Einfuhrzölle auf Spirituosen wie Rum erhoben. Damit sie diesen entgehen konnten, begannen die Flensburger Kaufleute und Rumhäuser, den Original Rum aus der Karibik zu mischen und verändern. Es entstand sogenannter "deutschen Rum". Dies machte es möglich, geringere Mengen an Rum zu importieren und weniger Einfuhrzoll zu zahlen. Der Rumhandel in Flensburg erlebte eine neue Blütezeit.

Was Mitte des 18. Jahrhunderts unter der Kontrolle der Dänen begann, war rund ein Jahrhundert lang erfolgreich, bevor es vom Deutsch-Dänischen Krieg 1864 unterbrochen wurde. Die Handelsstadt Flensburg ging von Dänemark an Preußen und Österreich über, und damit verloren die Brennereien die Jungferninseln wie St. Croix als Rumlieferant. Für die Rumstadt Flensburg brach eine neue Ära heran. Nach dem Krieg wurde das Zuckerrohr statt aus Dänisch- Westindien zunächst aus London und Amsterdam und danach aus dem damals zu Großbritannien gehörenden Jamaika sowie von anderen Karibikinseln bezogen. Die voranschreitende Industrialisierung löste verkürzte Lagerzeiten und eine höhere Produktion von Rum aus. In den 80er- und 90er-Jahren begann daher der Niedergang der renommierten Flensburger Rumhäuser. Von einst deutlich mehr als 20 Rumhäusern – darunter Hansen, Pott, Asmussen, Sonnberg und Dethleffsen – besteht heute noch das Rumhaus A. H. Johannsen in der Marienstraße mit seiner 130-jährigen Unternehmensgeschichte. Eine bemerkenswerte Tradition von circa 250 Jahren hat ihr Ende gefunden – aber nicht komplett, denn der eine oder andere widmet sich in Flensburg noch immer dem Rum.

Auch allgemein hat es den Anschein, als finde im Norden von Deutschland langsam eine Rückbesinnung auf die Jahrhunderte währende Tradition statt. Das neu gestaltete Rum- Museum in den Räumen des alten Zollpackhauses sowie das neue Rum-Manufaktur-Museum im Hause Braasch hauchen der Vergangenheit neues Leben ein. Zudem haben Interessenten die Möglichkeit, in Flensburg die baulichen Hinterlassenschaften der Produktion und des Handels mit Zucker und Rum zu besichtigen. Die sogenannte "Rum- & Zuckermeile" ermöglicht einen faszinierenden historischen Rundgang durch die Altstadt. Die Museumswerft Flensburg plant den Nachbau eines Westindienseglers, mit dem sich der "Neptunus" Tribut zollen lässt. Der einzige Haken an der Sache: Obwohl schon mehrmals bei deutschen und dänischen Museen nachgefragt wurde, ließ sich bisher keine Zeichnung des Segelschiffes auffinden. Man kennt jedoch die Bauweise "Schnaubrigg" und die Tonnage von 57 Kommerzlasten, sodass sich die Abmessungen des Segelschiffes "Neptunus" ungefähr ausrechnen lassen. Sollte der Nachbau tatsächlich realisiert werden, erhält das Rum-Museum bzw. Schifffahrtsmuseum ein neues Highlight, das einen Aspekt der Flensburger Rum-Geschichte zum Leben erweckt.

Flensburg als Handelszentrum

Beim Flensburg von heute handelt es sich um eine kreisfreie Stadt im norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein. Größenmäßig gemessen befindet sie sich innerhalb ihres Bundeslandes hinter Kiel und Lübeck an zweiter Stelle. Rund 93.000 Einwohner nennen die Hafenstadt am Beginn der Flensburger Förde ihre Heimat. Dabei war die heute deutsche Stadt lang eng an das dänische Königreich gebunden. Die dänische Schreibweise für die Stadt ist Flensborg. Noch in modernen Zeiten lebte in Südschleswig eine dänische Minderheit und Flensburg entwickelte sich zu ihrem Zentrum. Neben Deutsch wird zum Teil noch immer Dänisch (sowie Petuh und Plattdeutsch) gesprochen. Dabei befindet sich die Stadt in Norddeutschland nicht direkt an der deutsch-dänischen Grenze.

Im 12. Jahrhundert begann die Flensburger Förde bereits, sich zu einem Zentrum für den Handel zu entwickeln. Fischereisiedlungen und Handelsdörfer entstanden und wuchsen stetig. Die Dänen wurden auf die Region aufmerksam, weil der Hafen an der Förde aufgrund seiner Lage und natürlichen Gegebenheiten vor heftigen Winden geschützt war und als ausgesprochen sicher galt. Außerdem kreuzten sich an jenem Ort zwei wichtige Handelsstraßen: zum einen die Handelsstraße zwischen Nordfriesland und Angeln und zum anderen der Ochsenweg (durch Jütland führend). Die Fischerei und der Handel profitierten daneben von einem großen Hering- Vorkommen rund um Flensburg. Ab Ende des 13. Jahrhunderts (nach Zerstörungen und Wiederaufbau) erlangte die Hafenstadt immer mehr Bedeutung und wurde zur wichtigsten Stadt des Herzogtums. Das Herzogtum war ein dänisches Lehen mit dem dänischen König als Lehnsherrn. Im Gegensatz zum südlich angrenzenden Holstein war es nicht Teil des Heiligen Römischen Reiches und (wie andere Städte in Schleswig) auch kein Mitglied der Hanse.

Trotz der bedeutenden Rolle und der guten Voraussetzungen hatte es die Stadt Flensburg nicht leicht. Während des Kriegs Dänemarks gegen Holstein und die Hanse eroberten und plünderten 1426 erst dänische Söldner die Stadt, und dann 1431 hanseatische und holsteinische Söldner. Im Jahre 1485 wurde ein Großteil der Stadt durch einen Großbrand zerstört, und Sturmfluten setzten den Einwohnern und dem Handel ebenfalls zu. Doch es ging nicht nur bergab, sondern auch bergauf. Nach dem Niedergang der Hanse im 16. Jahrhundert galt Flensburg als eine der bedeutendsten Handelsstädte im skandinavischen Raum. Nicht nur die Karibik, sondern auch das Mittelmeer und Grönland wurden von den Handelsschiffen angesteuert und weiteten die Handelsbeziehungen der Flensburger Kaufleute aus. Zu den wichtigsten Handelswaren zählte man neben Hering erst einmal vor allem Zucker und Tran. Der Dreißigjährige Krieg beendete die Blütezeit des Flensburger Handels, wobei die Verbindung zum Rum aufrechterhalten wurde.

Zu den wichtigsten Flensburger Kaufleuten jener Ära gehörte Johann Gerhard Feddersen (1712- 1787), der Mitte des 18. Jahrhunderts zum Direktor der Grönländischen Kompagnie ernannt wurde. Seine Anregung war der Anlass der Gründung der "Westindischen Kompagnie" durch die Kaufleute Flensburgs im Jahre 1755. Ein weiterer Name hierfür war "Handlungsgesellschaft auf St. Croix in Westindien", und eben jener Zusammenschluss ließ später den Rumhandel florieren. Die erste Handlung der neuen Gesellschaft prägte sie und die gesamte Geschichte: Man erwarb als erstes Schiff eine Schnau von 57 Kommerzlasten. Das Segelschiff wurde auf den Namen "Neptunus" getauft und unternahm 1755 seine erste Karibikreise, nachdem ihm am 11. Oktober der Seepass ausgestellt wurde. Hans Bleeke von Röm war Kapitän des Schiffes und leitete eine Besatzung von 17 Mann. An Bord hatte die "Neptunus" für ihre Jungfernfahrt nach Westindien eine kostbare Ladung an Lebensmitteln, die man gegen Exportgüter eintauschen wollte.

Die erste Seereise der "Neptunus" nach St. Croix verlief ohne größere Probleme. Die westindischen Kaufleute und Einwohner zeigten sich mit den deutschen bzw. dänischen Gütern so zufrieden, dass der Tauschhandel sofort seinen Lauf nahm. Man erstellte eine Liste der jährlich benötigten Konsumgüter und beauftragte die Einfuhr in großen Mengen. Zu den Gütern, die von Flensburg in die Danish West Indies transportiert wurden, zählten beispielsweise Speck, Fleisch, Mehl, Butter, raffinierter Zucker, Wein und Tee. Nicht nur diese Konsumgüter wurden von den Segelschiffen nach der "Neptunus" nach Westindien gebracht, sondern man deckte auch Plantagenbedarf wie Nägel, Kappmesser, Balken, Fassdauben und Bänder, Segeltuch und Sklavenbekleidung ab. Ziegeleien aus Flensburg lieferten Ziegelsteine, die man als Ballast auf den Schiffen mitführte. Eben jene gelben Ziegel dienten dem Bau und der Verstärkung der karibischen Gebäude. Sogar heute noch kann man auf der Insel Saint Croix das eine oder andere historische (öffentliche oder private) Gebäude sehen, das aus diesen eingeführten Ziegeln errichtet wurde. Im Gegenzug für all diese Güter schickte man vor allem Rohrzucker und Rum nach Flensburg, was die Kaufleute reich machte.

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